Münchner Schicksale in der NS-Zeit
Im Zuge des BR-Projekts „Die Rückkehr der Namen“ hat der KJR die Patenschaft für 25 Namen – und damit für 25 Ermordete der NS-Zeit – übernommen.
Am 11 April wurde insgesamt 1.000 Menschen gedacht, um sie so in das kollektive Stadtgedächtnis zurückzuholen. Im Vorfeld haben 15 Teilnehmende am 16. März einen Workshop-Tag der Fachstelle für demokratische Jugendbildung besucht. Zusammen mit CultureCloud gab es an diesem Tag die Möglichkeit, sich mit einer Person intensiv auseinanderzusetzen –künstlerisch oder anhand von Originalquellen. Abgeschlossen wurde der Tag mit einem Besuch im NS-Dokumentationszentrum, um ein Bild von der NS-Zeit in München zu bekommen. Anschließend der Bericht einer Teilnehmenden:
„Franziska Hasselberger, geb. am 8.4.1921 in Labenbach, wurde in Wasserburg mit 16 Jahren zwangssterilisiert.“
Damit beginnt der Text über die Person, mit der ich mich beim Workshop „Rückkehr der Namen“ beschäftigen durfte. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich meine Lehrerin nach der Geschichtsstunde über Euthanasie ungläubig gefragt, ob man zur NS-Zeit tatsächlich wegen schweren Depressionen ermordet wurde.
In meinen Notizen, die ich mir vom Workshop aufgehoben habe, stehen neben den Informationen über Franziskas Leben und ihren Tod Fragen wie „Wie sehr tat ihr das weh?“, „Was ist dort passiert?“ und „Blieb sie nach der Befreiung dort?“. Fragen, auf die ich bis jetzt keine Antwort gefunden habe, und sie vermutlich auch nicht finden werde, weil es niemandem mehr gibt, der sie beantworten kann. Je mehr ich mich mit ihr und ihrer Zeit beschäftige, desto weniger Antworten finde ich, desto mehr Fragen tun sich auf.
Franziska starb am 5.6.1945 nach der Befreiung der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar durch die Amerikaner an den Folgen gezielten Nahrungsentzugs. Auch das löst in mir Gedanken, Gefühle und größtenteils Protest aus. Als sich mir am Workshop-Tag all diese Fragen nach dem „Warum?“ auftun, stellt sich mir nach einiger Zeit vor allem noch eine: „Woher sollen wir, mit diesem Wissen, noch Hoffnung nehmen?“ oder anders „Wie verliere ich nicht die Hoffnung?“
Es entstanden stundenlange Gespräche mit fast allen Teilnehmenden, und besonders eine Antwort, die von verschiedenen Seiten immer wieder aufkam, ist mir im Kopf geblieben: „Weil wir alle hier sind.“ Weil es Menschen gibt, die, wenn sie sich mit diesem Thema beschäftigen, genauso berührt und überwältigt sind wie ich, Menschen, mit denen ich diese Frage diskutieren kann und die sich Zeit dafür nehmen, sich damit zu beschäftigen, wer die Person auf ihrem Schild ist, wie sie vielleicht gefühlt hat und was ihr geschehen ist. Vielleicht auch, wer sie hätte sein können. Und genau deswegen war die Rückkehr der Namen für mich so wahnsinnig wichtig, nicht nur, weil der Workshop mir vor Augen geführt hat, was für Grausamkeiten die Menschen vor uns durchmachen mussten. Sondern auch, wie viele Menschen bereit sind, diese Grausamkeiten anzuerkennen und sich zu fragen: „Wieso?“ und vor allem, „Wie verhindere ich, dass es nochmal passiert?“. Mir wurden Zeit und Raum gegeben, ich durfte und konnte mir, im Gegensatz zu Franziska, all diese Fragen stellen, nach Antworten suchen und vor allem gemeinsam mit anderen darüber sprechen.
Als wir im NS-Dokumentationszentrum waren und ich meine Frage nach Hoffnung stellte, setzten sich nach und nach immer mehr Menschen dazu, bis irgendwann beinahe alle Teilnehmenden gemeinsam versuchten, eine Antwort zu finden. Ich hatte an dem Tag und habe auch jetzt noch das, was Franziska unter anderem verwehrt wurde: Gemeinschaft, Verständnis, und Hilfe. Ich habe mich nicht allein damit beschäftigen müssen, sondern hatte viele andere Menschen, denen ähnliche Dinge durch den Kopf gingen. Und genau das, dass ich nicht allein war und bin, ist meine Hoffnung, dafür bin ich unendlich dankbar.
Maddy Patron