
Vorsitzende von heute und damals im Gespräch: Judith Greil (aktuell), Dr. Wolfgang Berg (1976 - 1981) und Elke Geweniger (2003 - 2007)
Eine Einführung in die Geschichte des KJR und drei kurzweilige Gesprächsrunden sorgten am 15. Juni für einen gelungenen digitalen Jahresempfang zu 75 Jahren KJR.
Am 5. Dezember 2020 ist der Kreisjugendring München-Stadt 75 Jahre alt geworden und bereits im Frühjahr sollte es einen Jahresempfang dazu geben. Dann kam Corona und alles war anders – oder gar nicht. Auch beim zweiten Anlauf wurde es nur ein digitaler Empfang, aber man wagte kleine, coronakonforme Gesprächsrunden.
KJR-Vorsitzende Judith Greil begrüßte die rund 100 Gäste, die sich zugeschaltet hatten, und sorgte für einen kurzen Einblick in die Geschichte des KJR. Dabei lag der Schwerpunkt auf den beiden ältesten Standbeinen des KJR, der Jugendverbandsarbeit und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass der KJR inzwischen ein drittes Standbein hat: die Kindertageseinrichtungen, die er seit rund 10 Jahren betreibt. Und dann auch die vielen Themenbereiche, die für junge Menschen und ihr Aufwachsen wichtig sind: geschlechtsspezifische Arbeit, Partizipation, kulturelle Angebote, Medien und Technologie, Erlebnispädagogik, Ferienangebote, Hilfen beim Übergang Schule – Beruf, Inklusion. Dazu die Arbeit mit jungen Geflüchteten, das Jugendübernachtungscamp „The Tent“ und das Jugendinformationszentrum. Rund 30 Fachbereiche kann man im KJR neben 70 Jugendverbänden, 50 Freizeitstätten und 8 Kindertageseinrichtungen finden.
Jugendarbeit für die Demokratie
Und nicht zu vergessen auch die Jugendpolitischen Forderungen zu den Kommunalwahlen, die im KJR eine lange Tradition haben. Seit den 1970er Jahren gibt es sie und sie sind für den KJR Auftrag aktiv zu werden. Aktuell sind es u.a. die Themen Wohnen, Klimagerechtigkeit, Mobilität, Freiräume und Bildungsgerechtigkeit.
Den KJR gibt es überhaupt nur, weil die amerikanischen Besatzer glaubten, dass eine Demokratisierung der Gesellschaft nur möglich sei, wenn junge Menschen von Anfang an eine Vielfalt von Jugendorganisationen zur Auswahl hätten, die weder nazistisch noch militaristisch sind. Also brauchte es ein Komitee, das darüber entschied, wer eine Lizenz bekam und damit verantwortete, dass sich der Ausbau der außerschulischen Jugendarbeit in den gewünschten neuen und demokratischen Bahnen vollzog.
Die erst Lizenz gab es für den Jugendclub München-Süd für Mädchen am 18.02.1946 (diesen gibt es immer noch – heute „Internationaler Jugendclub“). Es folgten Pfadfindergruppen, CVJM, Falken, Gewerkschaftsjugend, Katholische und Evangelische Jugend – alles Verbände, die im Nationalsozialismus verboten waren. Aus diesem Komitee wurde dann der KJR, mit dem legendären Anton Fingerle an der Spitze. Dieser war gleichzeitig Stadtschulrat und – damals gab es noch kein Jugendamt – für die Jugend zuständig. Parallel betrieben die Amerikaner zunächst selbst ein Programm, das speziell für die – nach Meinung der Besatzer – „desillusionierte, frustrierte und orientierungslose“ deutsche Jugend entwickelt worden war: German Youth Activity (GYA). Es richtete sich an 10- bis 18-Jährige und bot Sport, Handwerk und Basteln sowie vielfältige kulturelle Angebote. Das Programm wurde von den amerikanischen Steuerzahlern großzügig gefördert, allein 1948/49 flossen 12 Millionen Mark in die rund 300 Häuser in Bayern. Später übergaben die Amerikaner diese Häuser in München an den mittlerweile gegründeten KJR. Das GYA-Programm gilt als Vorläufer der offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Nach dem Ritt durch die KJR-Geschichte ging es in die ersten beiden Gesprächsrunden und hier mussten sich die Gäste entscheiden: Jugendverbandsarbeit versus Offenen Kinderund Jugendarbeit.
Auf dem Jugendverbände Sofa im Studio in der Geschäftsstelle hatten Zora Siebauer vom Verein Münchner Haus der Schüler*innen (MHDS), dem jüngsten Jugendverband im KJR, Günter Fieger-von-Kritter, ein Urgestein der Jugendverbandsarbeit, und KJR-Abteilungsleiter Gerhard Wagner Platz genommen. Als stellvertretende Vorsitzende ihres Vereins berichtete Zora von den aktuellen Herausforderungen, das MHDS unter Corona-Bedingungen möglich zu machen. Mit großer Freude über dieses junge Projekt spannte Günter als ehemaliger Referent für Mitgliedschaften des Bayerischen Jugendrings den Bogen zu den ersten – zum Teil mühsamen – Schritten in den 80er Jahren, Schüler*innen-Selbstorganisationen in die BJR-Strukturen einzubinden. Einig waren sich alle drei, dass demokratische Selbstorganisation junger Menschen auch nach 75 Jahren wichtig ist und eine glänzende Zukunft hat.
Spannende Gesprächsrunden und virtuelle Stehtische
Bei der aus dem Kinder- und Jugendtreff FEZI übertragenen Runde ging es um den Wandel in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Im Gespräch mit Moderator Gecko Wagner waren FEZI-Leiter Michael Jaschkowitz, seit 2008 im KJR, und Susanne Kußmaul, Leiterin der Oase Neuhausen, die am Tag genau vor 28 Jahren ihre Arbeit im KJR aufgenommen hatte. Eine der auffälligsten Veränderungen, die sie seit 1993 beobachte, sei, dass sich damals mehr getraut wurde. So berichtete sie von Wettbewerben, bei denen es darum ging, aus bestimmter Höhe herabzuspringen – natürlich ohne Sicherungsseile. Die Höhe wurde Meter um Meter gesteigert, bis sich niemand mehr traute. „Das wäre heute undenkbar!“, sagte sie. Michi Jaschkowitz warf einen kritischen Blick auf die Zusammenarbeit mit der Schule, die sich erst seit etwa 20 Jahren entwickelt hat. Während von Schulsozialarbeit und OKJA an einem Standort – wie im FEZI – beide Seiten profitieren, leide Offene Arbeit unter der zunehmenden Betreuung in der Schule und deren Ganztagstagsangeboten.
Über den Chat gab es die Möglichkeit, sich an den Gesprächsrunden zu beteiligen und Fragen zu stellen.
Nach einer kleinen Pause folgte ein Gespräch mit zwei ehemaligen KJR-Vorsitzenden: Elke Geweniger und Dr. Wolfgang Berg. Moderiert von Judith Greil ging es um die Entwicklung des KJR, die politischen Themen während der jeweiligen Amtszeit und die Besonderheit, dass der KJR viele hauptberufliche Mitarbeiter* innen – v.a. in der OKJA – hat und von einem ehrenamtlichen Vorstand geleitet wird, der die politischen und strategischen Leitplanken festlegt. Und man war sich einig, dass es den KJR heute noch genauso wie damals braucht.
Zum Ausklang gab es einen kleinen informellen Teil zum Ratschen an „virtuellen Stehtischen“ mit Titeln wie „Prosecco und Lachsschnitte“ oder „Ich muss nachher unbedingt Fußball gucken“. Die kleinen Runden waren teils sehr gesellig und eine gute Gelegenheit, sich mit anderen Gästen auszutauschen, darunter neue Kolleginnen und Kollegen ebenso wie ehemalige. Dennoch blieb ein Wunsch: sich beim nächsten Mal wieder persönlich zu sehen.
Angelika Baumgart-Jena, Gecko Wagner, Öffentlichkeitsarbeit, KJR