„Helfen, wo immer möglich“ – Das Engagement in München ist enorm und die Jugendarbeit trägt viel dazu bei. Ein Überblick.
Einen Tag vor Beginn des Kriegs war sich Yuliia Zadyraka noch sicher: „Putin will uns nur Angst machen!“. Dann fielen die Bomben auf ihre Heimatstadt Charkiw im Nordosten der Ukraine. Zunächst wollten sie und ihr Mann mit ihrem vierjährigen Sohn bleiben. Nachts, wenn die Sirenen heulten, suchten sie und ihre Nachbarn im Keller Schutz. Doch als eine Rakete im Hochhaus der Familie einschlug und selbst das Kellergeschoss nicht mehr sicher war, wurde ihr klar: „Ich muss weg!“.
„Pack deine Sachen und komm zu mir!“, sagte ihr da Züleyha Yilmaz. Yilmaz leitet den Jugendtreff Neuaubing im Münchner Westen, hier hatte Yuliia Zadyraka 2013 Freiwilligendienst geleistet, seither war der Kontakt nie abgerissen. So brach die Familie mit dem Zug auf Richtung Westen, nur die Dokumente und das Allernötigste im Gepäck. „Wir waren 150 Menschen in einem Großraumabteil mit 25 Plätzen“, berichtet sie. Der Zug fuhr ohne Licht durch die Nacht, sicherheitshalber. Mit dabei ihr Cousin, seine Frau mit ihrem zwei Wochen alten Baby und die Oma. Nach 22 Stunden erreichten sie Lwiw (Lemberg), hier mussten die Familienväter zurückbleiben.
Seit dem 6. März wohnt Yuliia Zadyraka mit Sohn Maksym bei ihrer früheren Chefin Züleyha Yilmaz, auch die Familie ihres Cousins hat Unterkunft gefunden, bei den Eltern von Yilmaz‘ Mitarbeiterin Johanna Baindl. Zadyraka ist froh über die Geborgenheit. Doch sie will sich nicht ausruhen, sondern jetzt andere Geflüchtete unterstützen. Die 32-Jährige ist Lehrerin für Englisch und Deutsch und so planen sie und Yilmaz Angebote für ukrainische Kinder und Jugendliche im Jugendtreff und an der benachbarten Mittelschule an der Wiesentfelser Straße.
Als Muttersprachlerin mit eigener Fluchterfahrung kann Zadyraka die geflohenen Kinder in mehrfacher Hinsicht gut verstehen. Sie kann ihnen nicht nur Deutsch beibringen, sondern auch helfen, sich in die Schulfamilie einzufinden, gemeinsam mit den Lehrkräften und der Schulsozialarbeit. Die Absprachen laufen gerade. Und der Jugendtreff lädt nicht nur die neu angekommenen Kinder, sondern auch ihre Mütter ausdrücklich zu sich ein. Zum Spielen, zum Entspannen, zum Austausch. Oder auch für einen Dolmetscherdienst, den die geflüchtete Sprachlehrerin ebenfalls gern übernimmt. „Wir wollen den Familien helfen, wo immer es geht“, sagt sie.
Spielangebote an der Erstunterkunft
Das war auch der erste Gedanke des Teams im Spielhaus Sophienstraße, gleich gegenüber dem Luisengymnasium. Das hatte die Stadt letzte Woche kurzerhand zur Herberge für Geflüchtete umfunktioniert. Was lag da näher, als den aus Krieg und Zerstörung Geflohenen Erholung und Ablenkung im Spielparadies am Alten Botanischen Garten neben dem Spielhaus anzubieten?
Das Naheliegende war aber fast unerreichbar, berichtet Kathrin Bautz vom KJR. Denn nur ein Teil der Geflüchteten hat einen in der EU anerkannten Impfschutz. „Kinder und Mütter hätten sich zum Verlassen der Unterkunft auf Covid testen müssen“, sagt sie. Außerdem gab es laufend Durchsagen zu den Bussen, die als nächstes für die Weiterreise starten. „Das wollten sie nicht verpassen.“
Also verlegten Bautz und ihre Kolleginnen das Spielparadies in den Pausenhof. Ein Verbrauchermarkt hatte Sportgerät und Spielsachen gespendet, „ein paar Jungs haben schnell die Fußballtore aufgebaut, sich den Fußball geschnappt und gespielt“, sagt sie. An Biertischen wurde gemalt und gebastelt oder die ebenfalls gespendeten Lego-Bausätze und Playmobil-Sets aufgebaut. Zumindest für ein paar Stunden, die Gäste waren oft nur eine Nacht da.
Freizeitstätten
Anders ist das in Freizeitstätten, die in der Nähe von jetzt eingerichteten Unterkünften liegen. Etwa bei der Leichtbauhalle in der Neuherbergstraße mit 250 Betten, die nur wenige Gehminuten vom Kinder- und Jugendraum RIVA NORD entfernt liegt. Oder das Hotel Arabella Sheraton, in dem 70 Zimmer für Geflüchtete angemietet sind. Nicht weit weg liegt der Jugendtreff Cosimapark.
„Wir haben schon im Sheraton unsere Flyer auf Ukrainisch und Russisch verteilt“, sagt Chris Eltjes, pädagogischer Mitarbeiter im „Cosi“. Eine Mutter mit ihren zwei Kindern war auch schon da. „Die Kommunikation war schwierig, aber irgendwie ging‘s“, erzählt er. Die Familie konnte zwar Ukrainisch, aber weder Deutsch noch Englisch oder Russisch. Bei letzterem hätte sogar eine russischsprachige Cosi-Mitarbeiterin weiterhelfen können, die auch für Dolmetscherdienste bereitsteht. In den nächsten Tagen wird Eltjes nochmal ins Hotel hinübergehen und versuchen, weitere Familien zu erreichen und ihnen die Räume und Freizeitmöglichkeiten des Jugendtreffs anzubieten, „auch als Rückzugs- und Entspannungsort.“
Auch viele andere Freizeitstätten öffnen ihre Tore ganz bewusst für ukrainische Kinder, Jugendliche und ihre Mütter und suchen den Kontakt zu ihnen. Dazu hat der KJR einen Flyer auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch gedruckt, der in wenigen Worten erklärt, was ein Jugendtreff ist, und der die Geflüchteten ausdrücklich einlädt.
Jugendverbände
Sehr engagiert sind viele der im KJR zusammengeschlossenen Jugendverbände, einige auch aus direkter Betroffenheit. Etwa Plast, der ukrainische Pfadfinderbund in Deutschland e.V., der Privatunterkünfte und freiwillige Helferinnen und Helfer vermittelt, Spenden sammelt oder Geflüchtete betreut. Die Hilfe gilt übrigens nicht nur Geflüchteten in Deutschland, Plast unterstützt auch die Aufnahme und Versorgung von Binnenflüchtlingen in der Ukraine mit Geld- und Sachspenden. Und dank der großen Spendenbereitschaft konnten bereits mehrere Tonnen Medikamente, OP-Material und weiterer Krankenhausbedarf in die Ukraine geliefert werden, sogar ein komplett ausgerüsteter Rettungswagen war Teil der Hilfslieferungen.
Die Deutsche Jugend in Europa (djo) wurde vor 70 Jahren von jungen Vertriebenen und Geflüchteten gegründet, heute hilft der Dachverband Geflüchteten aus der Ukraine. Etwa über JunOst, dem Verband der russischsprachigen Jugend in Deutschland. Dieser hat das Bildungsprojekt “DRUZI” ins Leben gerufen. Das bietet in der Sonnenstraße 200 Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine kostenlose Unterrichtseinheiten und Workshops unter anderem in Kunst, Englisch und Deutsch als Fremdsprache, aber auch in Fächern wie Mathematik oder Physik an. Und zwar auf Ukrainisch und auf Russisch. Dazu hat JunOst ein Team aus rund 60 Lehrkräften und anderen Freiwilligen zusammengestellt.
Aber auch viele nicht-ukrainische Jugendverbände helfen derzeit, wo immer möglich. Der Münchner Ableger der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) hat Spenden gesammelt, Hilfsgüter besorgt, an die ukrainische Grenze geliefert und auf dem Rückweg Geflüchtete transportiert. Auch viele andere, von der Alpenvereinsjugend bis zur IG-Jugend sind aktiv.
KJR-Mitarbeitende für „Münchner Freiwillige – Wir helfen“
Der KJR hat zudem Mitarbeitende zur Unterstützung von „Münchner Freiwillige – Wir helfen“ abgestellt. Die Freiwilligen dort kümmern sich um Geflüchtete am Hauptbahnhof und in Sammelunterkünften, organisieren selbst Unterkünfte, Sachspenden und Hilfsgüter und koordiniert Helfende, die in München anpacken oder zu Transportfahrten in die Nachbarländer der Ukraine bereit sind.
Flagge zeigen für den Frieden
Neben konkreter Hilfe zeigen viele Freizeitstätten in München derzeit auch Flagge gegen den Krieg und für den Frieden. Und zwar im Wortsinn. Der KJR hat Regenbogenflaggen mit dem Peace-Zeichen und der Friedenstaube gedruckt und an seine Kinder- und Jugendtreffs verteilt.
Für den kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gegründeten Kreisjugendring München-Stadt gehört der Erhalt des Friedens zur DNA. „In unserer Satzung ist dieses friedenspolitische Selbstverständnis und unser Auftrag klar formuliert“, erklärt KJR-Vorsitzende Judith Greil und zitiert: „Alle Arbeit soll getragen sein […] von der Bereitschaft, alles zu tun, was dem Frieden und der Verständigung aller Völker dient. […] Den Zwang zum Waffendienst und jeden Krieg lehnen wir ab. Wir appellieren damit an die Friedensbereitschaft der Jugend der ganzen Welt.“
Das sagte Greil auch bei der Friedenskundgebung der Schüler*innen diesen Dienstag am Max-Joseph-Platz. Organisiert hatten die Kundgebung ebenfalls junge Menschen: Jene der Stadtschüler*innenvertretung München und von Fridays for Future.
Spiel- und Sportangebote in der Messe Riem
Seit 7. April bietet der KJR an 3 bis 4 Nachmittagen pro Woche ein Spiel- und Sportangebot für die über 1000 Kinder und Jugendlichen (Stand 7.4.), die in den Messehallen untergebracht sind. Ehrenamtliche aus Verbänden, Honorarkräfte und KJR-Beschäftigte unterstützen hier. Viele weitere Organisationen sind vor Ort und bieten Beschäftigungsprogramme an.