„Rangezoomt“ mit 12 Stadträtinnen und Stadträten

Wegbrechende Nachwuchs-Generationen, Geldsorgen, kaum öffentlicher Raum und ein Erstarken der extremen Rechten: Seit Corona gibt es viel, was junge Menschen umtreibt. Die Pandemie gefährdet sogar die Abschlüsse von ausländischen Jugendlichen. Einiges war der Politik gar nicht bewusst. Der Online-Talk „Rangezoomt“ hat das geändert.

Politische Diskussionen mit mehr als drei Beteiligten werden schnell anstrengend. Bei „Rangezoomt“ haben sich gleich zwölf Stadträtinnen und Stadträte dazugeschaltet – und trotzdem ist es eine Wohltat. Erstens, weil nicht um Positionen diskutiert, sondern miteinander gesprochen wird. Und zweitens, weil die Abgeordneten des Stadtparlamentes hier sind, um zuzuhören. Und zu hören bekommen sie genug. „Jugend trotz Corona“ hat der KJR seine Zoom-Veranstaltung am 23. Februar überschrieben und drei Themen vorgesehen: Jugendverbände, Freiräume und Querdenker. Besonders plastisch schildern einige im Gesprächsraum „Jugendverbände“ ihr Dilemma. Ihnen droht eine Nachwuchs-Generation wegzubrechen, falls jetzt schon das zweite Jahr keine Gruppenstunden und Zeltlager stattfinden können. Hier lernen Jugendliche normalerweise, wie Jugendarbeit, wie Gruppenleitung geht. Das fehlt, und so fehlen bald auch die, die künftig selbst die Gruppenstunde übernehmen und das Zeltlager organisieren würden. „Wir werden keine Möglichkeit haben, das aufzufangen!“, sagt eine Vertreterin der Alpenvereinsjugend. Die Forderung an die Politik: bei künftigen Corona-Maßnahmen auch an die Jugendverbandsarbeit zu denken. Denn im Vergleich zur Offenen Jugendarbeit stehen die Jugendverbände mit ihren vielen Ehrenamtlichen vor ganz anderen Herausforderungen. „Und bitte bei den Schnelltests Jugendverbände nicht vergessen!“ – damit wieder Zeltlager möglich werden und Jugendarbeit nicht nur auf Abstand stattfinden muss. Die StadtschülerInnenvertretung regt als Ersatz Zeltlager „in städtischen Parks oder sonstwo“ für zumindest „fünf Leute statt früher 20“ an. „Damit können wir unsere Jugendleiter bei der Stange halten“ – und neue finden.

„Wenn wir unsere Prüfungen nicht bestehen, haben wir ein echtes Problem!“

Eine Dimension mehr haben die Probleme bei jungen Menschen, die kurz vor der Pandemie neu nach München gekommen sind. „Ausländischen Jugendlichen geht es nicht gut“, erklärt ein Vertreter des Club International. Sie hätten keine deutsche Familie, ihnen fehle das soziale Netz, die Freundschaften und damit eine Voraussetzung zum Gelingen von Praktikum oder Studium. Und zum Erlernen der deutschen Sprache. „Wir sind abhängig von Wissen; wenn wir unsere Prüfungen nicht bestehen, haben wir ein echtes Problem!“ Einer der Vorschläge: Mentoren für Studierende aus dem Ausland finden, die etwa mal eine Hausarbeit Korrektur lesen. Dass die Pandemie auch Jugendverbände in Finanznot bringt, berichtet Free Arts of Movement über ihre gemeinnützige Parkour- & Trampolinhalle im Werksviertel. „Es sieht sehr mies aus“, sagen sie, „wir müssen die Miete stemmen und sind jetzt bei Null“, weil die Einnahmen aus dem Betrieb wegbrechen. Denn die Halle darf derzeit nicht genutzt werden, „trotz super Lüftung“. Das Geld treibt auch andere Verbände um. Weil vieles nicht geht, ist ihr Finanzbedarf derzeit gering. Das dürfe jedoch nicht bewirken, dass die nicht genutzten Mittel gekürzt werden. Denn künftig könnten größere Veranstaltungsorte (Stichwort Mindestabstand), Hygienemaßnahmen und Schnelltests die Kosten auf ein höheres Niveau treiben. Barbara Likus, Thomas Lechner und Rudolf Schabl aus dem Stadtrat können zwar nicht konkret helfen, zumal die Stadt kaum die Infektionsschutz-Gesetze beeinflussen kann. Aber sie regen an, zur Finanzierung auch an Möglichkeiten wie den SZ-Adventskalender zu denken oder an die Bezirksausschüsse, die seit Corona ihre Budgets oft nicht ausgeschöpft hätten. Und sie ermutigen, mit Ideen und Konzepten an die Stadtpolitik heranzutreten und ruhig auch Druck zu machen. Und sie nehmen den Vorschlag mit, Jugendverbänden abends ungenutzte Schulturnhallen für Treffen von Jugendgruppen mit genügend Abstand zur Verfügung zu stellen. Diese Idee hätte ebenso gut aus dem zweiten digitalen Gesprächsraum mit dem Dauerbrenner-Thema „Freiräume“ stammen können.

„Wo geht man hin, wenn alles zu ist?“

Denn Räume ohne Konsumzwang und ohne pädagogische Aufsicht waren für Jugendliche schon vor Corona Mangelware. Gleich fünf Stadtabgeordnete sind hier dabei und hören etwa die Klage über das Münchner Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft. Es soll Kulturschaffende unterstützen, fühlt sich für sozio-kulturelle Akteure aber nicht zuständig. Damit sei es „keine wirkliche Anlaufstelle“ für Anliegen von Jugendlichen. Und die haben ein ganz praktisches Problem: „Wo geht man hin, wenn alles zu ist?“. Die Ausweichmöglichkeiten seien derzeit vor allem der Gärtnerplatz und die Isar. Es brauche daher andere Lösungen, etwa Gärten auf Parkplätzen oder nicht-kommerzielle Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäuden mit einfachem Genehmigungsverfahren. Auch der Sport brauche Räume, das komme in der Debatte bisher zu kurz. Manchmal könnten schon ein paar Toilettenhäuschen dabei helfen, dass bestehende Flächen und Räume besser genutzt werden. Die Stadträtinnen und Stadträte Christian Köning, Clara Nitsche, Julia Post, Fritz Roth und David Süß bieten an, über konkrete Beispiele zu sprechen und die Anliegen im Stadtrat voranzutreiben. Mit 12 Teilnehmenden ist der Gesprächsraum „Querdenker“ weniger als halb so stark besucht wie die beiden anderen. Aber nicht weniger wichtig, das zeigt ein kurzer Überblick der Szene von Querdenker-Kopf Michael Ballweg über QAnon bis zur extremen Rechten in München. Die Teilnehmenden sind sich mit Nimet Gökmenoglu, Dominik Krause, Jens Luther und Lena Odell aus dem Stadtrat schnell einig, wie dem begegnet werden soll: mit direkten Reaktionen auf Verschwörungs- Tweets, mit positiven Beispielen zu gut laufenden Projekten und mit guter Erklärung von Infektionsschutz-Maßnahmen. Was übrigens nicht Kritiklosigkeit bedeuten soll. Aber es müsse klargemacht werden, dass „Kritik an den Corona-Maßnahmen nicht dasselbe wie Systemkritik ist“.

Die insgesamt 75 Teilnehmenden erleben einen unaufgeregten und sehr interessierten Dialog von Jugend und Politik. „Das macht Mut für die Zukunft, dass wir doch einiges bewegen können!“, sagt KJR-Vorsitzende Judith Greil zum Abschluss. Und Lena Odell schreibt in den Chat, was sie in den Stadtrat mitnimmt: „Vielen Dank euch! Toll war‘s und wir gehen jetzt fleißig ans Schreiben von Anträgen!“.

Gecko Wagner, Öffentlichkeitsarbeit, KJR