In den ersten Wochen der Corona-Pandemie hat sich der Kreisjugendring München-Stadt (KJR) bewusst mit öffentlichen Äußerungen zurückgehalten. Doch jetzt will er nicht länger hinnehmen, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen übergangen werden. In der öffentlichen Diskussion „bleiben viele derjenigen außen vor, die zur verletzlichsten Gruppe der Gesellschaft gehören und keine (finanziell) wirkmächtigen Lobbygruppen im Rücken haben: die Kinder und Jugendlichen“, kritisiert der KJR-Vorstand in einem soeben veröffentlichten Positionspapier.
Im Positionspapier heißt es, junge Menschen seien in dieser Krise stärker sozial isoliert als Erwachsene, mit möglicherweise einschneidenden Folgen für das Kindeswohl. Denn während der Großteil der Erwachsenen seiner beruflichen Tätigkeit weiter nachgeht – auch in Berufen, die in der aktuellen Situation nicht „systemrelevant” sind, wurden die Schulen und Kitas früh geschlossen und werden spät geöffnet. Soziale Kontakte waren Kindern und Jugendlichen lange verwehrt und sind ihnen auch aktuell oft ohne Begleitung Erwachsener nicht möglich. „Ihre berechtigten Bedarfe und Interessen finden in der aktuellen Debatte kaum Gehör“, moniert der Kreisjugendring und fragt: Gilt in der Krise die UN-Kinderrechtskonvention, die umfassende Beteiligungsrechte von Minderjährigen und Beteiligungspflichten des Staates regelt, plötzlich nicht mehr? „Das ist für uns nicht hinnehmbar!“, kritisiert der KJR-Vorstand, von dessen neun Mitgliedern sieben zwischen 22 und 32 Jahren alt sind.
„Die Diskussion um Geisterspiele in der Bundesliga macht uns wütend“
„Die Schwerpunkte der Lockerungsdiskussionen der letzten Wochen macht uns wütend“, sagt KJR-Vorsitzende Judith Greil. „Geisterspiele in der Bundesliga mit wöchentlichen, aufwendigen Testungen tragen zum Gemeinwohl weniger bei als die Öffnung von Spielplätzen!“
Um Bildungsungerechtigkeiten im monatelangen Home-Schooling abzubauen brauche es nicht Kaufanreize für neue Autos, sondern Notebooks für alle Schülerinnen und Schüler.
Der KJR versteht sich als Anwalt und Sprachrohr der rund 400.000 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Stadt. Schließlich ist er der Zusammenschluss der fast 70 Münchner Jugendverbände und -gemeinschaften der Stadt und Träger von acht Kindertageseinrichtungen. Zudem betreibt er verschiedenen Formen von Schulkooperationen wie Schulsozialarbeit oder Kooperative Ganztagsschule, mehr als 30 Fach- und Projektstellen und ist mit 50 städtischen Freizeitstätten der größte Träger von Offener Kinder- und Jugendarbeit in München. Mit Freude, Ideenreichtum und großem Engagement sind hier hunderte Ehren- und Hauptamtliche seit 75 Jahren für junge Menschen in München da.
Doch der Kontakt zu diesen ist derzeit schwierig. „Wir haben in kurzer Zeit alternative Angebotsformen entwickelt und halten so Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen“, sagt Greil, „wir sind in der Schulsozialarbeit für sie da und organisieren Notbetreuung unter wechselnden Bedingungen in unseren Kitas. Das für junge Menschen Wichtigste aber, der direkte soziale Kontakt, der auch einen essentiellen Beitrag für die psychische Gesundheit darstellt, ist kaum möglich.“
Daher stellt der KJR grundsätzliche Forderungen für die Zeit in und nach der Pandemie an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft:
Politische Diskussionen zu Einschränkungen oder Lockerungen müssen auf allen Ebenen öffentlich und mit allen gesellschaftlichen Akteuren geführt werden. Kinder und Jugendliche sind hier von Anfang an einzubeziehen!
Beratungsgremien müssen die gesamte gesellschaftliche Breite widerspiegeln. Sie dürfen nicht nur mit Vertretungen aus Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft besetzt sein, sondern auch mit Vertretungen beispielsweise der Jugendarbeit und Jugendhilfe.
Politik und Medien müssen ein ausgewogenes Bild junger Menschen vermittelt werden. Sie sind weder Auflagen missachtende Egoisten noch Viren verbreitende Gefahrenquellen. Kinder und Jugendliche brauchen für ein gelingendes Aufwachsen Kontakt zu Gleichaltrigen, sie brauchen die Möglichkeit zu Bewegung und Spiel im öffentlichen Raum. Wenn Kitas, Schulen, Sportvereine und Spielplätze gesperrt sind, ist eine Anzeige bei der Polizei der falsche Weg.
Nach der Pandemie müssen die getroffenen Entscheidungen von Politik und Verwaltung evaluiert werden, um ein Lernen aus der Krise zu ermöglichen. Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendlichen sind dabei gesondert zu analysieren und geeigneter Ausgleich zu schaffen. Dazu gehört unter anderem:
Die Verstärkung von Bildungsungerechtigkeiten durch fortgesetztes Home-Schooling darf sich nicht dauerhaft festsetzen.
Existentielle Bedrohungen junger Menschen durch Auslaufen befristeter Verträge, Kündigung von Ausbildungsplätzen, Wegfall von Minijobs oder niedriges Kurzarbeitergeld müssen aufgefangen werden.
Die Auswirkungen auf den Kinderschutz und die seelische Gesundheit von jungen Menschen müssen umgehend analysiert und jungen Menschen muss schnellstmöglich und unbürokratisch jegliche Unterstützung zu Teil werden.
Außerdem mahnt der KJR, andere wichtige Themen wie die Klimaveränderung, die Situation Geflüchteter an den EU-Außengrenzen und in den Lagern in Griechenland oder die Ausbreitung rechtspopulistischer Positionen in unserer Gesellschaft jetzt wieder auf die Agenda zu setzen.
Entschieden distanziert sich der KJR zugleich von all denjenigen, die lautstark angeblich für Grundrechte und Meinungsfreiheit demonstrieren, dabei aber vor allem Verschwörungstheorien und Fake News verbreiten, Hygiene- und Abstandsregeln bewusst missachten und es vor allem darauf anlegen, die Gesellschaft zu spalten.