Ferienzeit ist die schönste Zeit. Die Münchner Schülerinnen und Schüler freuen sich auf die Sommerferien, die am Freitag beginnen. Für diejenigen, die Ferienfahrten, Tagesbetreuung und Ausflüge anbieten, mischt sich in die Freude viel Ungewissheit. Denn durch die Corona-Pandemie stehen sie vor großen Herausforderungen, die sich zudem ständig ändern.
„Ich gehe davon aus, dass unsere Ferienangebote wie geplant stattfinden werden“ sagt Elias Eberl vom Kreisjugendring München-Stadt (KJR). „Aber die Veränderungen sind überall zu spüren.“ Eberl koordiniert das stadtweite Programm „Ferien Extra!“ des KJR und bereitet sich auf eine ganz andere Feriensaison vor. „Derzeit sind nur Kleingruppenaktionen möglich“, berichtet er. Bei größeren Freizeiten wie dem Walchensee-Zeltlager, das unter Kindern und Jugendlichen schon einen legendären Ruf genießt, müssen die Teilnehmenden nun Abstand halten und in Kleingruppen aufgeteilt werden. Diese bleiben die Woche über immer zusammen, also beim Essen, beim Übernachten und bei Aktivitäten. „Das schränkt die Freiheiten auf einer Ferienfahrt schon sehr ein“, sagt Eberl.
Kleinere Gruppen mit größerem Abstand
Bisher waren stets um die 100 Teilnehmende dabei, dieses Jahr werden es ein Drittel weniger sein. Aus Hygiene-Gründen, nicht, weil das Interesse fehlen würde. „Im Gegenteil“, sagt Björn Röhrle, „wir werden gerade von Anfragen überrannt, das Telefon steht nicht mehr still.“ Röhrle leitet das erlebnispädagogische Zentrum „Tchaka“ im KJR, er und sein Team bieten für die 50 KJR-Freizeitstätten Outdoor- und Actionprogramme an, vom Isarschwimmen und Raften bis zur Höhlenwanderung. In den kommenden Wochen werden die Tchaka-Leute rund 100 Gruppen mit bis zu 1.500 Teilnehmenden durch die Stromschnellen der Isar lotsen oder über Kletterpfade leiten. Auch das mit kleineren Gruppen und größerem Abstand. Und sie organisieren das Walchensee-Zeltlager.
Briefe im Zeltlager
„Gerade so ein Zeltlager lebt eigentlich davon, dass hier Kinder aus der ganzen Stadt aufeinandertreffen und neue Freundschaften schließen“, erzählt Röhrle. Und gibt sich optimistisch. „Wir werden Formen finden, wie wir trotzdem den Austausch zwischen den Gruppen ermöglichen“, sagt der Erlebnispädagoge. „Vielleicht mit Briefen?“
Pädagogisch wird es klappen. Die Regeln einzuhalten, wird schwieriger. Denn es gelten unterschiedliche Vorgaben für den Sport, für die Beherbergung oder für die Gastronomie. Eine Ferienfahrt ist eine Mischung aus allen drei Elementen. „Das müssen wir alles bei den Hygienekonzepten für unsere Ferienfahrten berücksichtigen“, sagt KJR-Ferien-Koordinator Eberl. „Aber es ist schwierig, herauszufinden, welche Regeln für uns gelten“, berichtet er, „und wie sie zu interpretieren sind. Damit hängt immer einiges in der Schwebe.“
„Zu zwölft vermummt in die Wechselstube? Ich weiß nicht …“
Das gilt schon bei Ferienfahrten in Bayern. Geht es ins Ausland, wird es noch vertrackter. Das Spiel- und Begegnungszentrum Fideliopark plant eine Jugendfahrt nach Prag und eine an den ungarischen Plattensee. „Ich war gerade in Ungarn“, berichtet Fidelio-Leiter Florian Sachs. „Dort trägt eigentlich niemand mehr eine Maske. Was gilt für uns dann? Die bayerische Regelung? Oder die ungarische?“ Inzwischen weiß er, es gilt das Territorialprinzip. Aber selbst, wenn er sich an die strikteren bayerischen Vorgaben halten will, kann er sich das nicht zu 100 Prozent vorstellen. „Wenn keiner Maske trägt und wir drängen zu zwölft vermummt in die Wechselstube … ich weiß nicht!“. Nach Ungarn geht es mit dem Bus. Weil darin nur jeder zweite oder dritte Platz genutzt werden durfte, hatte Sachs die Zahl der Teilnehmenden gesenkt. „Inzwischen dürfen Reisebusse wieder jeden Platz besetzen, das ändert sich laufend. Vielleicht auch wieder in die andere Richtung.“ Bei der Fahrt nach Prag hat er inzwischen von Dreier- und Vierer-Zimmern auf Doppelzimmer umgebucht, sicherheitshalber. „Aber wenn da jemand allein übrigbleibt, hat das mit Gemeinschaft und Jugendarbeit nicht mehr viel zu tun.“
Können Kinder Kochen helfen? Wegen Corona nein
Corona verändert die pädagogischen Spielräume. Manchmal sind schon ganz am Anfang Hürden zu nehmen. Der Kinder- und Jugendtreff am Wettersteinplatz FEZI in Untergiesing wollte wie in den letzten Jahren wieder zum Zeltlager ins Allgäu fahren. „Doch der Zeltplatz in Füssen hat uns wegen der Corona-Auflagen kein Okay gegeben“, sagt Pädagogin Michaela Treu. Mit etwas Glück haben sie eine Alternative in Sonthofen gefunden, drei Wochen früher als eigentlich geplant. Auch sonst musste Treu umplanen, anders als sonst dürfen die Kinder diesmal nicht beim Essen zubereiten helfen, die Hygiene-Vorgaben verlangen ein festes Kochteam. Und auch das gemeinsame Einkaufen der Lebensmittel muss dieses Jahr wegfallen. Diese Einschränkungen sind eingeplant. Nicht planbar ist, dass „die Fahrt entweder vor Beginn oder mittendrin wegen Corona abgesagt werden könnte“, sagt Treu. „Oder, dass uns der Campingplatz doch kurzfristig absagt.“
Planen mit dem Unplanbaren
Für Röhrle, den Erlebnispädagogen, gehört Unkalkulierbares seit 17 Jahren dazu. „Ich muss Unsicherheit zulassen. Wenn ich 100 Prozent Sicherheit haben will, darf ich mit Kindern nicht zum Raften gehen, sondern muss sie auf die Couch setzen.“ Er ist bisher immer gut damit klargekommen, obwohl Erlebnispädagogik immer Wagnis und Risiko bedeutet. Es ist gerade der Schritt hinaus aus der Komfortzone. Aber die Ungewissheit jetzt, welche Corona-Regeln gelten und wo er sich trotzdem etwas trauen darf, wühlt ihn auf.
Kein Nagelbrett, keine Klangmassage, kein Gewürzeworkshop
Dass sich die Rahmenbedingungen laufend ändern, hat nicht ausschließlich Nachteile. Jutta Schneider zum Beispiel freut sich enorm. Die Leiterin des Spielhaus Sophienstraße am Alten Botanischen Garten verdankt der jüngsten Lockerung, dass sie ihr Herzensprojekt „Komm doch mit nach Indien“ nun doch als Ganztagsprogramm anbieten kann. Bei der Woche, in der Kinder in die indische Kultur mit Feuerjonglage, Yoga und Zauberei eintauchen, war bis vor Kurzem als Halbtagsangebot geplant. „Das war aber erkennbar uninteressant für die Familien, wir haben kaum Anmeldungen bekommen“, sagt sie.
Jetzt ist klar: 28 Kinder dürfen den ganzen Tag teilnehmen, immerhin, in den vergangenen Jahren waren es 50 Kinder. Und die 28 werden aufgeteilt auf vier Kleingruppen. Nicht nur das wird anders sein: Die Kinder aus Indien, die den jungen Münchnerinnen und Münchnern sonst Mallakhamb beibringen, also Yoga am Seil, dürfen nicht anreisen. Sie schalten sich nun für einen indischen Tanzkurs per Video live aus Mumbai dazu. Um die Hygienerichtlinien zu gewährleisten, muss viel des früher üblichen Programms entfallen. Etwa das Laufen übers Nagelbrett, die Klangmassage und der Gewürzeworkshop. Und die große, gemeinsame Abschlussgala.
Der vielleicht einzige Urlaub des Jahres
Dazu die Schwierigkeit, die alle Ferienaktionen betrifft: „Abstandhalten ist für die Kinder extrem schwierig“, sagt Schneider, „und ständiges Ermahnen bringt keine gute Energie rein“.
Doch allen Unwägbarkeiten zum Trotz und gerade deshalb werden Röhrle und seine Kolleginnen und Kollegen im KJR so viele Ferienaktionen durchführen, wie möglich. „Damit wollen wir auch das Zeichen setzen, dass trotz Corona Jugendarbeit und Ferienspaß möglich sind!“, sagt er. Und möglichst vielen Kindern „den vielleicht einzigen Urlaub des Jahres“ ermöglichen.
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Fotos auf Anfrage verfügbar und zur Veröffentlichung im Zusammenhang mit Berichterstattung über die KJR-Ferienprogramme frei. Sie zeigen Impressionen aus Ferienprogrammen des KJR vor der Corona-Zeit.
Fotocredit
© KJR
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